Lina von Schrader auf dem Weg in die Bundesliga
In Hohensachsen war es ihr im Tor zu langweilig, da gab es oft zu wenig Arbeit. Das hat sich geändert. Lina von Schrader steht im Kader der TSG 1899 Hoffenheim, war Ersatzkeeperin in der Champions League und feierte jüngst ihr Debüt in der 1. Fußball-Bundesliga. Und die 19-jährige Leutershausenerin hat noch lange nicht genug
Lina von Schrader! Das Fanclub-Quartett, das sich mit Megaphon und Trommel unter die 50 Zuschauer der Akademie-Arena in Zuzenhausen gemischt hat, skandiert den Namen der Torfrau, die in der Schlussphase der Zweitbundesliga-Partie gegen Titelanwärter FC Carl Zeiss Jena eine noch höhere Niederlage ihrer TSG 1899 Hoffenheim II verhindert. Im neongelben Dress wirft sie sich in zwei Freistöße der Gäste, treibt ihre Mitspielerinnen immer wieder nach vorne. Doch mehr als ein Pfostenschuss springt nicht heraus für die Blau-Weißen.
Zur Person
Lina von Schrader kommt aus Leutershausen, machte ihr Abitur am Schriesheimer Kurpfalz-Gymnasium. Ihr jüngerer Bruder spielt bei den C-Junioren des SVS.
Vater Fußballer, Mutter Handballerin – die heute 19-Jährige begann mit neun Jahren bei der SG Hohensachsen als Feldspielerin, ehe sie als 34-fache Torschützin ins Tor wechselte.
„Anfangs war das langweilig, weil wir so gut waren und kaum was aufs Tor kam. Aber in den Auswahlmannschaften habe ich schnell gemerkt, dass ich hier weiterkommen kann als im Feld.“ Als badische Auswahlspielerin spielte sie zwei Jahre bei den C-Junioren der TSG 1862/09 Weinheim, danach drei Jahre bei der SG HD-Kirchheim bis zu den B-Junioren.
Seit 2021 läuft sie für Hoffenheim auf, aktuell überwiegend für die U20 in der 2. Bundesliga.
Als U15-Spielerin feierte sie ihr Länderspieldebüt, dann riss ihr Kreuzband. Mit den DFB-U20-Frauen will sie 2024 zur WM.
Die Wintersonne kann den Raureif im Schatten des Kunstrasens nicht verdrängen, hinter dem Zaun bilden sich die sanften Hügel des Kraichgaus ab. Eine fast malerische Kulisse – die sportliche Realität sieht etwas trüber aus. Lina von Schrader hütet das Tor der Hoffenheimer U20, die mit nur vier Punkten nach der Vorrunde tief im Abstiegsstrudel steckt. Zweite Mannschaften haben es schwer in Deutschlands zweithöchster Spielklasse. Hinter Hoffenheim rangiert der VfL Wolfsburg II, auch die elf Punkte des FC Bayern München II bedeuten einen Abstiegsplatz.
„Wir haben es nicht leicht. Nicht nur weil wir so jung sind, sondern weil die anderen Bundesligisten mit ersten Mannschaften mit aller Macht nach oben drängen und es für zweite Mannschaften noch schwerer wird“, sagt Lina von Schrader. Seit dieser Saison ist die Förderung von Frauenfußball für den Profi-Männerfußball ein Kriterium im Lizenzierungsverfahren. „Trotzdem wollen wir nach der Winterpause noch einmal angreifen, um den Zweitligaverbleib vielleicht doch noch zu schaffen.“
Trainingszentrum als Wohnzimmer
Zwei Tage zuvor: Wir treffen die 19-jährige Leutershausenerin zum Gespräch im Frauen-Trainingszentrum der TSG 1899 Hoffenheim „Anpfiff fürs Leben“ in St. Leon-Rot. Um diese Zeit am Nachmittag würde sie normalerweise mit dem Erstligateam auf dem Rasen draußen trainieren. Weil von Schrader aber sonntags nicht im Kader der ersten Mannschaft steht, findet das Abschlusstraining für sie nun abends mit dem Zweitligateam statt. Während Cheftrainer Stephan Lerch also ein paar Meter weiter Paulina Krumbiegel, Sarai Linder&Co. auf das letzte Spiel des Jahres gegen RB Leipzig vorbereitet, nimmt sich Lina vor ihrem eigenen Training kurz Zeit, um ihre noch junge Karriere Revue passieren zu lassen.
Zwischen Athletik- und Seminarraum wuseln Mädchen aller Altersklassen. Alle tragen Blau. Neben der Kaffeemaschine steht ein Sofa, es herrscht fast Wohnzimmer-Atmosphäre – würden nicht ständig Stollen über den Flur der Umkleidekabine klackern. So eine Art Wohnzimmer ist das Trainingszentrum für Lina von Schrader seit zweieinhalb Jahren auch geworden. Zumindest ist es ein Zweitwohnsitz ihrer nur gut einen Kilometer entfernten Wohnung. Nach dem Mittagessen, ebenfalls im Zentrum, ist der Kraftraumbesuch angesagt, Einzeltraining steht manchmal auch auf dem Plan, bevor es ans Aktivieren vor dem eigentlichen Mannschaftstraining geht.
„Die Jungs rotzen gern“
Die fußballerischen Unterschiede von Jungs zu den Mädchen? Die deutlich emotionaleren und körperlicheren Jungs würden auch „einfach mal rotzen“, während bei den Mädels Cleverness und Zusammenspiel im Vordergrund stünden. 2020 veränderte alles: Wegen der Corona-Pandemie wurden Spiel- und Trainingsbetrieb in den Amateurligen eingestellt – Dauer unklar. Gift für alle Sportler, gerade für die, die mehr wollten als eine Freizeitbeschäftigung. Schließlich hatte Lina von Schrader da bereits den Sprung von der Landesauswahl in die U-Nationalteams des DFB geschafft. „Da war es perfektes Timing, als Hoffenheim wieder anfragte. Erstens konnte ich hier weitertrainieren und zweitens hat sich die Konstellation ergeben, dritte Torfrau im Bundesliga-Kader zu werden. Das ist natürlich eine große Chance."
Im Trio mit Martina Tufekovic und Laura Dick fühlt sich die U20-Nationaltorhüterin, die als Höhepunkt ihres Juniorinnen-Daseins im September 2024 gerne mit zur WM nach Kolumbien fahren würde, wohl. „Ich kann von beiden noch richtig viel lernen. Fußarbeit, aber vor allem was Persönlichkeit und die Ansprache an die Vorderleute angeht. Ein Oliver Kahn werde ich nicht, aber ein bisschen lauter muss ich noch werden“, lacht Lina von Schrader, die fußballerisch Manuel Neuer zum Vorbild hat. „Menschlich sind das meist Frauen, die etwas zu sagen haben und reden können: Serena Williams, Lindsay Vonn, Nadine Angerer und Almuth Schult finde ich cool.“
Vor sechs Wochen kam von Schrader dann etwas unverhofft zum ersten Erstliga-Einsatz, weil beide Stammkeeperinnen nicht fit waren. „Mit einem Einsatz so früh hatte ich nicht gerechnet, mir ist klar, dass ich mich als dritte Keeperin erst mal hinten anstellen muss. Zunächst war ich supernervös. Aber das Aufwärmen lief gut, die Mannschaft hat es mir leicht gemacht. Und dass ich mit unserer Kapitänin auf dem Zimmer war, hat zusätzlich beruhigt“, erinnert sich die 19-Jährige an ihre Erstliga-Premiere. Hoffenheim gewann 2:1 beim 1. FC Köln. „Ich konnte es am Ende sogar genießen.“ Cheftrainer Lerch war ebenfalls zufrieden. „Sie hat das ordentlich gemacht. In dem Alter ins kalte Wasser geworfen zu werden, ist nicht einfach.“
Traum von der Champions League
Fast noch emotionaler sind Lina von Schrader die Champions-League-Fahrten der Hoffenheimerinnen nach London und Barcelona in Erinnerung, wo sie 2021 als Ersatztorfrau auf der Bank saß. „Das will ich unbedingt wieder erleben. Diese Atmosphäre und auch, dass wir da als Team so lange zusammen waren. Das war etwas ganz Besonderes. Ich habe das damals gar nicht so wertschätzen können, weil ich zeitgleich im Abistress war.“ Inzwischen studiert die Frau, die schon als Kind am liebsten mit den Jungs auf dem Schulhof kickte, Psychologie. Die Vorlesungen, meist am Vormittag, lassen sich gut mit dem Training vereinbaren.
Tiefgründigere Ansätze haben auch die Ziele, die nichts mit Bundesliga oder Champions League zu tun haben. „Natürlich spiele ich Fußball, um Erfolg, aber auch um Spaß und eine gute Zeit zu haben und viele Leute kennenzulernen.“ Was Teamsport bedeute, welche Werte er vermittele, das habe sie schon in Hohensachsen gelernt. „Beeindruckend, was da für Mädchen geleistet wird. Da wird Team wirklich gelebt.“In der Partie gegen Jena am dritten Advent wäre Lina fast sogar auf eine Spielerin getroffen, die denselben Ausbildungsverein hatte: Auch Sophie Walter lernte das Fußball-Abc bei der SG Hohensachsen, spielt derzeit aber in Jenas zweiter Mannschaft. Auf eine ehemalige Hohensachsenerin wird von Schrader aber am 18. Februar treffen – sollte sie auch da in Hoffenheims zweiter Mannschaft spielen: Büsra Kuru kommt mit dem aktuellen Tabellendritten FC Sand nach Zuzenhausen. Die türkische Nationalspielerin aus Lützelsachsen will in die 1. Liga – ein Traum, der tatsächlich für beide wahr werden könnte.